Die Pflege im Januar 2022: Zwischen Pflegebevollmächtigten & Bonuszahlungen

Die Pflege im Dezember 2022: Ein Fortschritt in der Geschichte des deutschen Gesundheitswesens?

Zusammen mit Pflege­pionierin Annemarie Fajardo schauen wir auf die Ereignisse und Nach­richten im Dezember 2022. Was beschäftigte die Pflege­branche?

Hallo Annemarie! Schön, dass wir wieder miteinander über den vergangenen Monat in der Pflegebranche sprechen können. Unsere beiden Pflegethemen im Dezember 2022 sind, dass einerseits der Bundestag ein neues Krankenpflegeentlastungsgesetz beschlossen hat und die Regierungskommission ein Krankenhauskonzept vorlegt („Lauterbach: Weniger Ökonomie, mehr Medizin“).

Annemarie, was hat die Branche im Dezember, deiner Meinung nach, bewegt? Lass uns zusammen zurück blicken.

Tatsächlich beschäftigt hat mich in diesem Monat sehr stark der Fokus des Bundesgesundheitsministerium auf die Krankenhausreform. Das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz wurde beschlossen und die wichtigste Intention des Bundesgesundheitsministeriums in Bezug auf die berufliche Pflege war es, die Pflegekräfte in den Krankenhäusern zu entlasten. Sie sollen mehr Zeit für Patientinnen und Patienten erhalten. Unterstützt werden sollen insbesondere auch Krankenhäuser mit einer Fachabteilung für Geburtshilfe und die stationäre Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Auch die Finanzierung von Hebammen soll verbessert werden. Das Bundesgesundheitsministerium beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit einer Verbesserung der Personalsituation in den Krankenhäusern, so dass mit dem Krankenhauspflegenentlastungsgesetz endlich ein Gesetz auf den Weg gebracht wurde, dass eine Pflegepersonalbemessung in Krankenhäusern vorgeben wird – die sogenannte PPR 2.0. Zudem sollen weitere Regelungen im Krankenhauswesen und in der Digitalisierung mit diesem neuen Gesetz angepasst werden.

Was jedoch besonders stark in diesem Monat auf verschiedenen Kanälen thematisiert wurde, waren geschlossene Kinderkliniken bzw. unterbesetzte Kliniken für Kinder und Jugendliche, so dass Babys, Kinder und Jugendliche nicht versorgt werden konnten. 

Ich las an mehreren Stellen, dass Kinder sterben, weil wir sie nicht mehr versorgen können. Darüber berichteten u.a. der Tagesspiegel, der MDR oder auch der FOCUS. 

Ja! Eine wirklich dramatische Situation, die wir nicht nur jetzt, sondern schon seit einigen Jahren erleben. Es gibt zahlreiche Berichte darüber, dass Kinderpraxen und Kinderstationen überlastet sind. Wir erleben aber auch, dass die Ökonomisierung der Kliniken vielfach zu Schließungen der Kinderkliniken, zu einem Bettenabbau oder etwa auch zu einem Personalabbau geführt hat. Und mit Ökonomisierung meine ich explizit das Fallpauschalen-System, das Anfang der 2000er Jahre in den Kliniken eingeführt wurde. Hinzu kommt, dass die Betreuung, Behandlung und Versorgung von Kindern und ihren Eltern ganz anderen Bedürfnissen zu entsprechen haben, als wir es in der Erwachsenenpflege etwa kennen. Wenn dann die Leistungen nicht eindeutig den Bedürfnissen zugeordnet werden können oder etwa Leistungen, die erbracht werden mussten, nicht abgerechnet werden konnten, so dass sie aus betriebswirtschaftlicher Sicht kostendeckend sind, rechnet sich im ökonomischen Kontext solch ein Versorgungsfeld nicht und es kommt zu Einsparungen und Schließungen ebensolcher Versorgungseinheiten. Die gesellschaftliche Tragweite und auch die ethische Verantwortung, die wir als Gesellschaft gegenüber unseren Kindern haben, wird dabei ganz offensichtlich nicht betrachtet. Dabei müsste es doch selbstverständlich sein, in einem sehr fortschrittlichen und wohlhabenden Land wie Deutschland, dass wir kranke und hilfsbedürftige Kinder versorgen können – egal, was es kostet. Das heißt, dass die Bereitstellung einer gewissen Daseinsvorsorge zur Versorgung von kranken Kindern einfach Geld kosten muss, ähnlich wie die Bereitstellung einer Feuerwehr oder einer Polizeistelle.

Hast du denn den Eindruck, dass Bundesgesundheitsminister Lauterbach etwas an dieser Situation schnell und kurzfristig ändern kann?

So schnell wird der Bundesgesundheitsminister nichts ändern können, denn die Probleme, die wir in der Versorgung von Kindern heute erleben, sind gewachsene Probleme innerhalb eines gewachsenen Systems mit Fallpauschalen-Finanzierung. Von heute auf morgen solch ein System der Finanzierung abschaffen und neue Strukturen zu bauen, würde mindestens drei bis fünf Jahre in Anspruch nehmen. Es müssen Gesetze geschaffen werden, mit denen alle regierenden Parteien einverstanden sein müssen. Und überhaupt: Wenn die Intensivmediziner melden, dass jede zweite Kinderklinik Patienten abweisen muss, dann wird deutlich, dass in diesem System gespart wurde. Und ein Sparverhalten bedeutet etwa in der Notfallversorgung, dass Menschen sterben, weil sie nicht mehr rechtzeitig gerettet werden können. An dieser Stelle sprechen wir dann von Kindern, die sterben und offensichtlich empört es unsere Gesellschaft nur in einem geringfügigen Maß, dass wir einen solchen Zustand in der Gesundheitsversorgung inzwischen erreicht haben. Die Reformvorschläge von Herrn Lauterbach greifen demnach nicht sofort, selbst wenn in kürzester Zeit Geld zur Verfügung gestellt werden würde. Und mit Geld haben wir ja noch kein neues System zur Versorgung von Kindern entwickelt oder etwa eine strukturelle Daseinsvorsorge geschaffen, die auch sinnvoll und nachhaltig ist. 

Was müsste sich denn ändern, damit wir ein anderes System zur Versorgung von Kindern erhalten? Geld scheint ja nicht die ultimative Lösung zu sein.

Es müsste eine andere gesellschaftliche Haltung gegenüber Kindern und ihrer Gesundheit entwickelt werden. Der Kinderschutzbund zum Beispiel sieht ein großes Problem im Sinne der „Verwertbarkeit“ von Kindern. So meinte kürzlich der Bundesgeschäftsführer des Kinderschutzbundes, dass „Kinder im besten Falle, wenn wir sie positiv bewerten, [als] Fachkräfte, Renten-Einzahler“ sehen. In der Gesundheitsversorgung von Kindern geht es nicht primär darum, zu prüfen, was den Kindern jetzt hilft, sondern es wird als Gesellschaft nur darauf geschaut, was sie später leisten können und sollen. Der Kinderschutzbund spricht sich deshalb für Kinderrechte im Grundgesetz aus, was eigentlich für das 21. Jahrhundert in Deutschland eher einem Armutszeugnis gleichkommt als einem fortschrittlichen Land, dass die schwächsten Menschen unserer Gesellschaft stützt. Wenn wir jetzt erst über Kinderrechte im Grundgesetz sprechen müssen, dann sind wir eigentlich noch weit davon entfernt, die Versorgung von Kindern möglichst kurzfristig und wirksam zu verbessern. 

Nun hatte kürzlich die „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ ein Krankenhauskonzept vorgelegt. Könnte dieses Konzept denn wenigstens erstmal kurzfristig dafür sorgen, dass die Versorgung von Kindern verbessert wird? Und was hat es eigentlich mit dem Ausspruch „Weniger Ökonomie, mehr Medizin“ auf sich? 

Damit kommen wir zu meinem zweiten Thema in diesem Monat, denn mit dem jetzt vorgelegten Krankenhauskonzept hat Minister Lauterbach eine Revolution in der deutschen Gesundheitsversorgungangekündigt. Tatsächlich wird mit diesem Konzept in erster Linie keine strukturelle Verbesserung zur Versorgung von Kindern verfolgt, sondern vielmehr darauf abgestellt, dass sich Patientinnen und Patienten im Allgemeinen zukünftig darauf verlassen sollen, dass „sie überall, auch in ländlichen Regionen, schnell und gut versorgt werden sowie medizinische und [eben] nicht ökonomische Gründe ihre Behandlung bestimmte.“ Diese Aussage des Ministers im Zuge der Veröffentlichung des Konzeptes macht deutlich, dass die Ökonomisierung der Krankenhäuser die Versorgung der Patientinnen und Patienten bestimmt hat. Somit ist das Ziel, die Finanzierungsstrukturen zukünftig so umzusetzen, dass die Qualität und auch die Angemessenheit klinischer Eingriffe entsprechend finanziert sind und dies auch gesichert ist, ohne als Patient die Befürchtung haben zu müssen, operiert zu werden, ohne dass dies medizinisch tatsächlich relevant wäre. Alleine nur diese Tatsache spricht schon für eine Strukturreform des Krankenhauswesens. 

Und was ist mit der beruflichen Pflege? Müsste es nicht auch „Mehr Pflege“ heißen, wenn schon solch ein Slogan gewählt wird? 

Ja, in der Tat wäre neben „Mehr Medizin“ auch „Mehr Pflege“ wünschenswert. So könnte mit einem solchen Krankenhauskonzept tatsächlich auch eine Strukturverbesserung hinsichtlich der pflegerischen Eingriffe vorgenommen werden. Hier hat der Minister angedeutet, könne es zukünftig für die Krankenhäuser der Grundversorgung die Möglichkeit geben, Pflegefachpersonen als Leitung des Krankenhauses einzusetzen. Das würde nicht nur für die Berufsgruppe der beruflich Pflegenden ein Meilenstein in der Entwicklung der Berufsgruppe bedeuten, sondern auch für die Grundversorgung in den Kliniken selbst könnte das ein Qualitätsgewinn sein. Pflegefachpersonen sind schon immer für die Steuerung aller Patientenpfade bzw. Versorgungsprozesse innerhalb einer Klinik zuständig gewesen. Ihnen die Leitung zu übertragen wäre ein Fortschritt in der Geschichte des deutschen Gesundheitswesens. Allerdings muss auch klar sein, dass Pflegefachpersonen international schon längst Kliniken leiten. Und das sind dann nicht nur die Krankenhäuser der Grundversorgung, sondern auch große Unikliniken, die von Pflegefachpersonen federführend geleitet werden. Dazu muss man sich allerdings die deutschen Ausbildungsstrukturen ansehen: Wir müssten dann zukünftig auch stärker noch für die höheren Qualifikationsniveaus (Deutscher Qualifikationsrahmen DQR), also bis zur maximalen Stufe 8 ausgebildet werden. Mit dem in 2020 eingeführten Pflegeberufegesetz beginnen wir aber gerade mal die Qualifizierung auf die Stufe 4 zu heben. Es wird also noch eine ganze Weile dauern, bis die entsprechenden Qualifizierungen vorhanden und auch gesetzlich geregelt sind. 

Vielen Dank für das Interview, liebe Annemarie! 

Über den Experten und Autor dieses Beitrages

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Philipp Zell

Hallo, ich bin Philipp und der Geschäftsführer der Pflegepioniere. Lösungen zu finden, treibt mich an. Unsere Gesellschaft benötigt Lösungen für eine gute Versorgung, sonst wird jede:r von uns bald negativ betroffen sein. Und das in einer Dimension, die man gesellschaftlich noch gar nicht ahnt. Es gilt also, im bestehenden System Versorgung auf all ihren Ebenen zu optimieren und gleichzeitig an großen Lösungen zu arbeiten. Das machen wir mit den Pflegepionieren – und darum bin ich gerne Pflegepionier.

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