Zusammen mit Pflegepionierin Annemarie Fajardo schauen wir auf die Ereignisse und Nachrichten im Januar 2023. Was beschäftigte die Pflegebranche?
Hallo Annemarie! Schön, dass wir wieder miteinander über den vergangenen Monat in der Pflegebranche sprechen können. Unsere beiden Pflegethemen im Januar 2023 sind, dass einerseits die Pflege im Heim deutlich teurer wird und dass sich Berufserfahrung in den Pflegeberufen kaum auszahlt.
Annemarie, was waren deine Hauptthemen im Monat Januar?
Zwei Themen haben mich im Januar besonders interessiert, die man grundsätzlich sogar in einen gemeinsamen Zusammenhang bringen kann: Zum einen berichtete das Ärzteblatt über deutlich teurere Heime und zum anderen macht sich die Berufserfahrung in den Pflegeberufen kaum bezahlt. Zu Letzterem berichtete die Altenheim.
Was genau hat es denn mit den teureren Pflegeheimen auf sich?
Der Verband der Ersatzkassen (vdek) veröffentlichte eine Auswertung zu den steigenden, selbst zu zahlenden Anteilen in einer Pflegeeinrichtung, die von Pflegebedürftigen und ihren Familien getragen werden. Im Vergleich zum Jahr 2022 sind diese Anteile im bundesweiten Durchschnitt innerhalb eines Jahres um 278 Euro gestiegen. Die Steigerungen werden auf die höheren Lebensmittelkosten und besseren Löhne für Pflegekräfte zurückgeführt. Da die Pflegeversicherung nur einen gedeckelten Teil der pflegebedingten Kosten übernimmt, müssen die Pflegebedürftigen alle Steigerungen selbst tragen. So zählen neben den pflegebedingten Eigenanteilen auch die Kosten für die Unterkunft und Verpflegung sowie die Kosten für Investitionen in den Einrichtungen dazu.
Trotz eines durch die Bundesregierung initiierten Entlastungszuschlag für die Pflegebedürftigen, die stationäre Pflege und Betreuung in Anspruch nehmen, steigen die individuellen Belastungen hinsichtlich dieser steigenden Preise. Somit müssen zum Beispiel die höheren Löhne für Pflegekräfte aufgrund der steigenden Personalkosten in den Pflegeeinrichtungen ebenfalls von den Pflegebedürftigen bezahlt werden. Auch wenn eigentlich längst klar sein sollte, dass höhere Löhne für Pflegekräfte die Daseinsvorsorge sowie die Pflegeversorgung an sich verbessern kann und der Staat sowie unsere Gesellschaft selbst davon profitieren, wird Politik auf dem Rücken der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen betrieben.
Müsste somit nicht der Staat oder wenigstens die Pflegeversicherung für diese gestiegenen Preise und Löhne aufkommen, wenn wir von Daseinsvorsorge in Pflegeeinrichtungen sprechen wollen?
Ja, ganz genau, so kann man es interpretieren, wenn der Staat oder die Politik sich hier einbringt und etwas für die Arbeitssituation bzw. Lohnsituation der Pflegekräfte unternehmen möchte, dann müsste eigentlich auch der Staat mit Hilfe von Steuerzahlungen diese Versorgungsstruktur in den stationären Pflegeeinrichtungen unterstützen. Wenn der Pflegebedürftige diese Leistungen, es sind jetzt lt. vdek im bundesweiten Durchschnitt seit dem 01.01.2023 2.411 Euro im Monat, zahlt, dann kann es passieren, je nach Bundesland oder Region und je nach Einrichtung, dass der Pflegebedürftige abhängig von seiner Rente diese Kosten nicht aufbringen kann. In diesem Fall muss dann das Sozialamt einspringen und der Pflegebedürftige wird zum Sozialhilfeempfänger.
Der Staat springt also dann ein, wenn der Pflegebedürftige keine eigenen Mittel (mehr) hat. Allerdings wird mit der Pflegeversicherung das Privatvermögen bzw. die eigene Rente schon in die Leistungen einer stationären Pflegeeinrichtung eingepreist, so dass es bei diesen Leistungen eigentlich nicht mehr um eine öffentliche sondern vielmehr um eine private Leistung geht, die der Pflegebedürftige dann quasi einkaufen kann. Da sich die Versorgungssituation in den Pflegeeinrichtungen jedoch zunehmend aufgrund fehlenden Personals in den vergangenen Jahren immer weiter verschlechtert – und man muss dazu sagen, die Versorgung war in den letzten 30 Jahren seit Einführung der Pflegeversicherung nie wirklich gut – ist die Politik selbstverständlich aufgefordert, hier Maßnahmen einzuleiten, die auch die finanzielle Situation der Pflegebedürftigen und ihrer Familien verbessern. Geplant sind jetzt auch Reformen zur Pflegeversicherung, aber es wird sicherlich noch ein weiter Weg werden.
Hätte solch eine Reform denn Auswirkungen auf die gestiegenen Löhne der Pflegekräfte? Diese sind ja jetzt erst seit dem 01.09.2022 tariftreu zu regeln, das heißt, dass in den nächsten Jahren durch Tarifsteigerungen die Personalkosten weiter steigen würden – und damit dann auch die Belastung der Pflegebedürftigen, wenn sich nichts ändert.
Naja, eigentlich hätte vor der Einführung der Tariftreueregelung eine Anpassung der Finanzierung durch die Pflegeversicherung erfolgen müssen, um eine enorme Belastung der Pflegebedürftigen zu verhindern bzw. abzufedern. Konkrete Auswirkungen auf die Löhne haben diese angekündigten Reformen jedoch nicht, da für die Tariftreueregelung eigene rechtliche Grundlagen gelten. Die Finanzierung der Leistungen aus der Pflegeversicherung sind demnach ganz eigene rechtliche Grundlagen, die insbesondere die Pflegebedürftigen finanziell entlasten sollen. Nach meinem Dafürhalten sollte die Pflegeversicherung die pflegebedingten Kosten sowie Unterkunft und Verpflegung vollständig übernehmen, denn wenn ein Mensch pflegebedürftig wird, sucht er sich diesen Zustand ja nicht freiwillig aus. Und in diesem Fall muss ein Sozialstaat die Hilfen auch anbieten und vollumfänglich zur Verfügung stellen, die für diese Pflegesituation dann auch erforderlich ist. Insofern sind die Steigerungen der Löhne richtig und sie werden nun auch durch die Arbeitgeber bezahlt, aber von der Reihenfolge her wäre die Reform der Pflegeversicherung etwas, was schon vor mindestens fünf Jahren hätte durch das Bundesgesundheitsministerium umgesetzt werden sollen.
Aber dein zweites Highlight könnte zu dieser Entlohnungssituation passen, wenn man bedenkt, dass die Berufserfahrung von Pflegekräften bisher keine richtige Anerkennung findet?
Ja, das ist schon seit vielen Jahren ein Problem, dass wir zum einen keine angemessen Entlohnungssituation in der stationären Altenhilfe oder auch in der ambulanten Altenhilfe hatten und sogar im Vergleich zur Akutpflege in Krankenhäusern deutlich hinten liegen. Jedoch empfinde ich es als genauso überholungswürdig, die Berufsjahre bzw. die Berufserfahrung von Pflegekräften finanziell anzuerkennen. Das passiert bisher noch zu wenig und kann teilweise wenn überhaupt nur über die einzelnen Entgeltgruppen entlang der Tarifverträge tatsächlich berücksichtigt werden.
Obwohl Pflegekräfte immer höheren Anforderungen ausgesetzt sind, immer mehr Qualifikationen absolvieren müssen und mit der neuen Berufsausbildung und dem neuen Pflegestudium auch höhere Erwartungen in den Betrieben an sie gerichtet werden, lassen sich höhere Löhne in diesem Zusammenhang immer noch nicht nachvollziehen. Wichtig erscheint dieser Aspekt besonders im Hinblick auf die Nachwuchsförderung, Karriereentwicklung und zunehmende Komplexität in der Versorgung der Menschen mit Pflegebedürftigkeit, denn die steigende Verantwortung und auch die steigenden Belastungen müssen sich durchaus im Lohn abzeichnen. Grundsätzlich müssten mehr Anreize für höhere Qualifizierungsniveaus in der Pflegebranche geschaffen werden, um Menschen im Pflegeberuf zu halten und sie damit zu motivieren. Allerdings fehlt der Berufsgruppe der beruflichen Pflegenden eine eigene Pflegegewerkschaft, um zukünftig angemessene Löhne für die neuen Qualifikationen und Abschlüssen zu erstreiten.
Aber dafür bräuchte es dann eine Pflegekammer, oder?
Ja, genau. Für die Qualifizierungsniveaus, die neuen Abschlüsse und auch weiterführende Qualifizierungen können Pflegekammern eine berufsrechtliche Grundlage erwirken. Sie setzen Berufsrecht durch. Und wenn Berufsrecht durchgesetzt wird, könnten Gewerkschaften schließlich angemessen Löhne durchsetzen. Das wäre im Prinzip die Reihenfolge.
Vielen Dank für das Interview, liebe Annemarie!